Forever Young: Ingo Fietzes „Die übermüdete Gesellschaft
Rowohlt 2018, ISBN 9783498 021399
Ingo Fietze zitiert in seinem aktuellen Buch die Rolling Stones mit einer Zeile aus Ruby Tuesday: “Lose your dreams and you will lose your mind“ – Hör auf zu träumen und Du wirst Deinen Verstand verlieren, das könnte tatsächlich das Motto dieses einfach zu lesenden und gleichzeitig unglaublich gelehrten Buches sein.
Allerdings wäre der Verstand nicht das Einzige, was wir verlieren, wenn wir die Kunst des gesunden Schlafs verlernt haben. Das Buch zu lesen, ist so ähnlich wie Ingo Fietze bei einem seiner vielen Vorträge oder Fernsehauftritte zu zuhören und zu zu sehen: Man glaubt, ihn schon ewig zu kennen, während er eigentlich verblüffend neue Erkenntnisse zur Bedeutung des Schlafs so ganz nebenbei erzählt und man das Gefühl hat: ja klar, der hat doch Recht, das ist doch ganz logisch und einfach nachvollziehbar. Warum eigentlich nicht gleich morgen in unserer Fabrik ein Schlafzimmer für die Fließbandarbeiter einrichten?
Schlaf ist laut Prof. Fietze nicht nur eine Voraussetzung für ein kaum wahrnehmbares, weil selbstverständliches Wohlfühlen, sondern ein ganz entscheidender Faktor für Produktivitätssteigerung und wirtschaftlichen Erfolg moderner Unternehmen.
Klar, am nächsten Tag zurück im Betrieb fällt es einem dann doch schwer, nochmal genau zu erinnern, mit welchen Argumenten man den Chef dazu bringen könnte, für die Mitarbeiter*innen Schlafmöglichkeiten während der Arbeitszeit einzurichten. Da muss man doch nochmal in seinem Buch nachblättern.
Die Untertitel seines Buches „Wie Schlafmangel uns alle krank macht“ und „Deutschland schläft schlecht – ein Weckruf“ rücken sein Werk leicht zu Unrecht in die Nähe der Verkaufslogik der meisten im Gesundheitswesen existierenden Ratgeber: Gefahren aufzeigen und gleichzeitig Vermeidungs- bzw. Bewältigungsvorschläge anbieten. Zwar ist auch hier sein Werk den üblichen Vermeidungs-, Bewältigungs- und Anpassungsratgebern (also Primär- /Sekundär- und Tertiärprävention) zur Verhaltensveränderung meilenweit voraus, richtig spannend wird es allerdings, wenn er über den Schlaf als Produktivitätsfaktor der Betrieblichen Gesundheit schreibt:
Hier wird der Schwerpunkt genau andersherum gelegt. Steigerung der Leistungsfähigkeit, die Spaß und Freude macht. Also nicht nur, warum wir nicht krank werden, sondern insbesondere, warum wir gesund bleiben und wir deshalb unsere Arbeit, unseren Betrieb, unsere Kolleginnen und Kollegen und unsere persönliche Entwicklung wertschätzen und uns auf den nächsten Tag im Betrieb freuen. Zu vielen dieser aktuellen Entwicklungen in der Arbeitswelt wie Agilität, Scrum, New Work und insbesondere zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement stellt Ingo Fietzes Buch tatsächlich ein, wenn nicht das bis jetzt noch fehlende Bindeglied zwischen verschiedensten Disziplinen her. Die Rolle des Schlafes in der Arbeit kann hier nicht nur praktische Fragen beantworten, sondern insbesondere auch Lücken der modernen Arbeitsforschung füllen und das in sehr vielen Themenbereichen wie Lernen, Entwicklungschancen, Identifikation, Entscheidungsspielräume, Produktivität und vielen Themen mehr. Fietze hierzu: „Das ist kein Teufelswerk, sondern nennt sich Betriebliches Gesundheitsmanagement…“ (S.207). Das freut uns als Fachverband dieser relativ jungen Disziplin Betriebliches Gesundheitsmanagement ganz besonders. Prof Fietze verbindet mit seinem Werk altes, gut gesichertes medizinisches Wissen mit neuen und höchst modernen Ansätzen der Organisationsgestaltung. Sein Buch kommt hier genauso jung daher wie er selbst und wie er es heute wieder geworden ist.
Happy Birthday lieber Ingo Fietze!
Berlin, 20.7.2020