Volkskrankheit Rücken

Drei Fragen an Diplom-Sportwissenschaftler Dirk Hübel

 Welches sind die häufigsten Probleme?

Das Thema Rückenschmerz ist flächendeckend in der Bevölkerung vertreten. Vier von fünf Personen kennen diese Situation und über 60% der Deutschen leidet einmal im Jahr für mehrere Tage an Rückenproblemen.

Viele Betroffene denken dabei gleich an die Bandscheibe, so fragte mich jüngst ein Teilnehmer im Rahmen eines Fachvortrages: „Herr Hübel, sagen Sie – sind Rückenschmerzen gleichzusetzen mit der Bandscheibe“? Meine für ihn beruhigende Antwort war Nein, denn in den meisten Fällen sind andere, eher harmlose Ursachen der Grund für die Pein. So verursachen häufig Bewegungsmangel, Haltungsmonotonie oder ungewohnte Bewegungen eine Verspannung der Rückenmuskulatur, die auf Dauer zu Schmerzen führen kann. Neuere Erkenntnisse bestätigen, dass auch Faszien bei der Schmerzentstehung eine größere Rolle spielen. Diese genannten Auslöser werden unter der Bezeichnung unspezifische Rückenschmerzen zusammengefasst und machen je nach Studienlage zwischen 80-90% aller Rückenschmerzen in Deutschland aus. Vom behandelnden Arzt werden diese mit Fachbegriffen wie Lumbalsyndrom, Lumbago oder Lumbalgie umschrieben. Häufig gehen dann Patienten verunsichert nach Hause uns sagen: „Ich habe Lumbago“ ohne zu wissen, dass dies lediglich eine Beschreibung für einen Schmerzzustand im unteren Rücken ist, für den keine eindeutige Ursache gefunden werden kann jedoch keine Krankheit.

Eine bedeutende Rolle wird den sogenannten psychosozialen Faktoren zugesprochen. Aspekte wie Angst, Dauerstress oder Verzweiflung schlagen nicht nur aufs Gemüt und den Magen, sondern in besonderem Maße auch auf den Rücken. So reagiert die Wirbelsäule umspannende Muskulatur sowie das Bindegewebe (Faszien) sehr sensitiv auf die o.g. Gemütslagen und die damit verbundene Hormonausschüttung (z.B. Cortisol).

Am Ende der Wirbelsäule sitzt der Kopf – allein die anatomische Nähe unterstreicht die Verbindung von Rückenproblemen mit kognitiven Prozessen wie Denkmuster, Einstellung oder Überzeugungen. Sind Sie bspw. davon überzeugt, dass Ihre Arbeit Ihrem Rücken schadet, haben Sie ein höheres Risiko für Rückenschmerzen, als Ihre Arbeitskollegen mit gleicher Tätigkeit aber positiver Einstellung.

Lediglich 10-15% aller Rückenschmerzfälle haben eine spezifische, therapeutisch gut nachweisbare Ursache. Dazu zählen z.B. Facettengelenksentzündungen, Arthrosen, Osteoporose, Zerrungen oder eben auch Bandscheibenvorfälle.

Hartnäckig hält sich leider noch die These, dass ein Hohlkreuz oder Rundrücken – also „meine schlechte Haltung“ eine Rolle spielen. Dies ist in den meisten Fällen nicht so, wie die aktuelle Studienlage zeigt. Der Rücken wünscht sich vielfältige Bewegungen, Zufriedenheit und gute soziale Kontakte! Das ist die Botschaft, welche in meinen Vorträgen und Workshops verbreite. Diese Schutzfaktoren wirken einer Chronifizierung der Schmerzen entgegen und sollten sowohl privat als auch im betrieblichen Umfeld dauerhaft gefördert werden.

 Wieso wird Prävention oft unterschätzt und wie kann vorgesorgt werden?

„Ich muss mal wieder was für meinen Rücken machen – ich habe seit 3 Tagen Probleme“ oder „mein Arzt hat gesagt, dass ich meine Rückenmuskeln aufbauen muss“, das sind Aussagen, mit denen ich häufig zu tun habe.

Beiden liegt eine „von weg Mentalität“ zugrunde. Damit meine ich, dass die Rückengesundheit oft als ein Regelzustand wahrgenommen wird, der nur gefördert werden muss, wenn etwas nicht stimmt. Doch viel mehr ist sie ein dynamischer Prozess, der von körperlichen, psychischen und sozialen Faktoren beeinflusst wird. So verstehen z.B. sportlich sehr aktive Personen nicht, dass sie häufig an Schmerzen leiden, obwohl sie trotz des laufenden Hausbaus, herausfordernder beruflicher Aufgaben und Geburt der Zwillinge auch noch 3-4x/ Woche ins Fitnessstudio zum Power Workout gehen.

Eine regelmäßige gesundheitssportliche Aktivität ist einer der wirkungsvollsten Schutzfaktoren für die Rückengesundheit aber nur im Einklang mit Aspekten wie Zufriedenheit, Sinn, Geborgenheit und sozialer Integration wird daraus eine wirkungsvolle Prävention.

So können Sie aktiv werden:

  • Pflegen Sie aktiv Freundschaften!
  • Achten Sie auf ein gesundes Verhältnis von Stress und Erholung.
  • Nehmen Sie sich Zeit für sich und Ihre Bedürfnisse / Hobbies.
  • Denken sie positiv und lösungsorientiert – die meisten Rückenschmerzen sind harmlos und verschwinden innerhalb von 4-6 Wochen!

Daran erkennen Sie die Wirksamkeit:

  • Sie haben Vorfreude – auf das Fitnessstudio, den Sportverein, Ihren Spaziergang, das Schwimmtraining etc.
  • Das Gefühl nach der Bewegung / dem Sport ist meistens gut („Zum Glück bin ich hingegangen!“)

Wer ganz gezielt seine körperlichen Schutzfaktoren ausbauen möchte, sollte ein sogenanntes Perturbationstraining durchführen. Das sind Übungen, die unter Gleichgewichtsprovokationen bzw. externen Störimpulsen ausgeführt werden wie bspw. Rückentraining auf einem wackeligen Untergrund (Luftkissen, Kreisel oder Balance Pad). Diese Erkenntnis ist ein Ergebnis des größten deutschen Forschungsprojektes zum Thema Rückenschmerzen „Ran Rücken“, welches 2018 vorgestellt wurde.

Abzuraten ist von präventiven Arztbesuchen oder dem Wunsch nach regelmäßigen Röntgenbildern (CT, MRT & Co.) ohne eindeutige Rückenschmerzsymptomatik. Vor allem bildgebende Diagnostiken führen dabei mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu Fehldiagnosen, da im Bild fast immer Auffälligkeiten zu erkennen sind (vgl. Nationale Versorgungsleitlinie Rückenschmerz). Oft stehen diese nicht in Verbindung mit der Problematik oder stellen kein hohes Risiko für Rückenprobleme dar aber der Patient kennt nun seine „Schwachstelle/n“ und die negative Gedankenspirale beginnt…

Auch wenn der Rücken mal wieder Probleme macht – stecken Sie nicht den Kopf in den Sand, sondern werden aktiv und probieren aus, was Ihnen hilft! Bewegung, Wärme, Ablenkung, Geselligkeit oder auch Entspannung sind verschiedene Maßnahmen, die Sie selber umsetzen können und Linderung verschaffen. Je mehr dieser Coping-Strategien (Selbsthilfemaßnahmen) Sie haben, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Rückenschmerzen chronisch werden.

Wann lohnt sich der Gang zum Arzt?

Glücklicherweise haben wir in Deutschland ein gutes Gesundheitssystem mit hervorragend ausgebildeten Ärzten. In einigen, besonderen Fällen ist der Besuch eines Arztes bei Rückenproblemen zu empfehlen. Stehen die Rückenschmerzen bspw. in Verbindung mit einem Unfall bzw. Sturz, sollten Sie sofort ärztlichen Beistand aufsuchen.

Wenn Sie neben den Schmerzen noch folgende Begleiterscheinungen entwickeln, ist ebenfalls eine ärztliche Diagnostik zu empfehlen:

  • Schmerz strahlt bis in den Unterschenkel/ große Zehe aus, Taubheitsgefühl
  • Sie haben Probleme den Fuß anzuheben bzw. zu senken
  • Kontinenz Probleme/ Blasenschwäche
  • Schmerz wird trotz Schmerzmittel täglich stärker (>3 Tage)
  • Zunahme der Schmerzen beim Liegen, starker Nachtschmerz
  • Schwellung und Entzündungszeichen am Rücken
  • Fieber

Ein guter Arzt erklärt Ihnen, was er genau macht und scheut sich nicht zu sagen, dass ggf. trotz aller Tests und Untersuchungen nichts zu finden ist. Bitte bedenken Sie, dass Rückenschmerzen zu 85% unspezifisch sind. Auch bei intensiveren Problemen, haben diese meist eine harmlose Ursache und sind diagnostisch kaum nachweisbar.

Fazit:

Rückenprobleme sind ein Massenphänomen und in den meisten Fällen kein Zeichen einer ernsthaften Verletzung oder Erkrankung. Auch bei intensiven Schmerzen besteht eine sehr gute Heilungsaussicht innerhalb weniger Wochen. Entscheidend für eine rasche Genesung sowie Verhinderung der Chronifizierung ist neben moderater Bewegung / Sport auch ein aktiver Umgang mit den Rückenschmerzen inkl. einer lösungsorientierten Denkweise (was hilft / was verschafft Linderung).

 

Mit den genannten Hinweisen haben Sie zwar keine Gewissheit, zukünftig alle Rückenprobleme zu vermeiden aber einen Selbsthilfekoffer, der Ihnen Sicherheit und Entspannung gibt, falls sich das Kreuz mal wieder meldet.

 

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg und Freude bei der Förderung Ihrer Rückengesundheit!

 

Ihr Dirk Hübel

 

3 Fragen an Dirk Hübel, Diplomsportwissenschaftler, Inhaber der Health & Fitness Academy und Vorstandsmitglied des Bundesverbands betriebliches Gesundheitsmanagement e.V. [BBGM]